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Der Siegeszug der Pizzerien

1952 soll die erste Pizzeria Deutschlands in Essen eröffnet worden sein. Im Saarland dauerte es bis Ende der 60’er Jahre. Das war die Zeit, als viele Menschen aus Italien zu uns kamen, weil unsere Wirtschaft Arbeitskräfte brauchte.

 

Die Pizzerien trafen den Nerv der Zeit. Die leichte, mediterrane Küche mit einfach zubereiteten Speisen und gesundes Olivenöl zogen die Gäste an. Das Ambiente war angenehm und unkompliziert, die Preise erschwinglich.  Der „Wiener Wald“ war plötzlich out - man ging zum Essen zum Italiener!

 

Mittags kamen Angestellte von nebenan, um schnell einfache und leckere Küche zu genießen. Günstig war es: 4 Mark kostete eine Pizza, ein Viertel Wein gab es für 1,80. Abends waren es Cliquen und Familien. Kinogänger trudelten noch nach Mitternacht ein, um „Pizza“ zu essen. Ehemalige Mitarbeiter des „San Marino“ berichteten, dass der Abendservice um 17h begann und die Küche bis zur Sperrstunde um 1h durchgehend noch warmes Essen bot – der Ofen blieb in Betrieb!

 

Die Pizzeria von Marcello Banfi entstand als eine der ersten schon 1968 direkt gegenüber dem Rathaus. Dort boomte das Geschäft, immer mehr Mitarbeiter wurden eingestellt. Sie kstammten überwiegend aus Sizilien oder Kalabrien, viele Brüder und Cousins wurden nachgeholt. Gaetano Ciraulo und Carmine Santoro berichteten, wie sie jeweils mit 16 Jahren unbedingt nach Deutschland wollten. Dass sie kein Wort Deutsch sprachen, war nicht so wichtig. Im „San Marino“ begannen sie als Tellerwäscher, landeten dann plötzlich am Pizzaofen und wurden Kellner. Beide wurden später erfolgreich. Gaetano leitet heute noch den Service im Restaurant seines Sohnes („Pinseria Villa Medici“ in Neunkirchen). Santoro gehörte zu denen, die es doch wieder in die Heimat zog. Er betrieb lange in Diefflen das „Riccione“ bis er 2009 nach Italien zurückkehrte.

 

Ende der 60‘ Jahre entstand in Saarbrücken eine Pizzeria nach der anderen.  Doch welche war die erste? Die Zeitzeugen widersprechen sich an der Stelle! Nico Patanise eröffnete „Da Nico“ in der Großherzog-Friedrich Straße, in der Saarstraße entstanden „Porto Vecchio“ und „La Galleria“. „La Gondola“ wurde in der Mainzer Straße aus der Taufe gehoben, ebenso in der Saaruferstraße das „Milano“ und das „Da Oreste“ am Bahnhof. Häufig waren die Gründer Brüder oder Cousins, die sich selbständig machten.

 

Das namensgebende Gericht war Pizza. Millionenfach wurden sie verkauft, immer öfter auch direkt zum Mitnehmen. Große Renner waren „Capricciosa“ (mit Schinken, Champignons, Artischocken) und „Quattro Stagioni“ (je ein Viertel belegt mit Oliven, gekochtem Schinken, Champignons und Artischocken). In Italien gab es diese Varianten übrigens gar nicht. Sie wurden extra für den deutschen Geschmack kreiert. Völlig undenkbar wäre in Italien auch die „Pizza Sophia Loren“ gewesen. Die Anzüglichkeit, zwei Spiegeleier auf dem Teig zu drapieren, störte in Deutschland damals niemanden.

 

Neben Pizza war auch frische Pasta gefragt. Das waren Spaghetti, Rigatoni, Lasagne und Canelloni. Ein Renner war die Variante „Combinazione“. Sie bestand aus verschiedenen Pasta-Sorten. In einer ovalen feuerfesten Form wurden sie mit Bechamelauce übergossen, mit Käse überbacken und so dem Gast serviert. Combinazione war in Italien unbekannt, auch dieses Gericht wurde für den deutschen Gast erfunden. Ebenso der „italienische Salat“, also grüner Salat mit Tomaten, Oliven, gekochtem Ei, Schinken und Käse. Es war aber gar nicht wichtig, ob es sich um Originalrezepte handelte oder nicht – es ging um das italienische Flair.

 

Zum Essen trank man gerne Wein: Lambrusco, Chianti, Valpolicella, Rosatello oder Frascati! Es waren einfache Weine aus 2-ltr. Flaschen, serviert wurden sie im stylischen Krug.

 

Neu und äußerst attraktiv war es zu der Zeit, in einer ganz anderen Atmosphäre zu essen – weg vom traditionellen Stil. Sie weckte Erinnerungen oder auch Vorfreude an Urlaube in Italien. Wandbilder von italienischen Orten trugen dazu bei. Zur passenden Dekoration gehörten Chianti-Korbflaschen, die als Kerzenständer dienten oder auch dekorative Weinflaschen, die einfach nur zur Deko drapiert wurden.  

 

Der lockere Umgangston mit einer freundlichen Begrüßung und Worten wie „Prego“ und „Signore“ war sympathisch. Unwichtig, dass die Kellner oft nur holpriges Deutsch sprachen. Und Kinder waren gerne gesehen, sie störten nicht und bekamen ihre persönliche, kleine Portion „Spaghetti mit Tomatensauce“.

 

Nach dem Essen wurde noch einen Grappa oder einen Sambucco (wirkungsvoll mit Kaffeebohne im Glas und angesteckt) „aufs Haus“ angeboten. Diese nette Geste ging später mehr und mehr zurück, wurde sie doch für manche Gastronomen zum Ärgernis, da die Gäste es plötzlich einforderten.

 

In den Folgejahren veränderten sich viele Restaurants. Die Speisekarte wurde anspruchsvoller, manche Pizzeria nahm den Weg zum gehobenen „Ristorante“. Wein und Grappa aus exzellenten Häusern Italiens wurden als exquisiten Essensbegleitung angeboten. Aber dazu mehr in der nächsten Folge ...